Zwischentöne Op26 – Webentwicklung ist Musik

Vor genau einem Jahr, am 28. August 2008, erreichte mich eine E-Mail des Komponisten Michael Paulus. Die E-Mail enthielt einen Link zu einer Rezension meiner Einführung in XHTML, CSS und Webdesign. Was Paulus dort schreibt, ist sehr reflektiert und bemerkenswert.

Als ich 2006 mit der Entwicklung meiner Site paulus-sound.com begann, war ich ein Anfänger, der nahezu von keiner Technik des Schreibens von Quellcode eine Ahnung hatte. (…) Nahezu jeder riet mir damals dazu, mich auf Programme wie Dreamweaver oder Frontpage zu verlassen und mich nicht auf das zeitraubende Studieren von Quellcode-Schreiben einzulassen. Ich war jedoch stets davon überzeugt, dass nur eine genaue Kontrolle dessen, was mit den Codes geschieht und wie diese umgesetzt werden, ein tiefes Verständnis der Materie ermöglicht.

Es mag völlig konträr klingen, wenn ich erkläre, dass ich trotzdem all diese Technik von XHTML, CSS, ASP und Datenbanken nur als Mittel zum Zweck des Transportierens wichtiger Inhalte ansehe. Aber das ist kein Widerspruch. Erst das Verstehen einer Materie ermöglicht das sattsam bekannte »Loslassen« derselben. Ähnlich verhält es sich beim Komponieren: Wenn Kompositionstechniken nur mehr Mittel zum Zweck sind, kann sich der kompositorische Gedanke von allen technischen Einschränkungen befreit zum richtigen Zeitpunkt der passenden Kompositionstechnik bedienen.

Die Parallele, die Paulus zwischen dem Entwickeln von Websites und dem Komponieren von Musikstücken zieht, finde ich faszinierend. Komponieren ist eine anspruchsvolle Tätigkeit, die eine fachliche Ausbildung erfordert und umso besser gelingt, je talentierter und fantasievoller der Komponist seiner Arbeit und Kunst nachgehen kann. Ebenso ist Webdesign Kunst und Arbeit zugleich, Programmieren eine anspruchsvolle Tätigkeit, die gelernt werden muss, auch Frontend-Entwicklung ist nicht einfach. So wie jeder, der sich an ein Klavier setzt, von sich behaupten kann, Musik zu komponieren, sobald er drei harmonische Töne hervorgebracht hat, kann sich jeder als Webdesigner begreifen, der mit Homepage-Baukästen und grafischen Editoren Webseiten zusammenklickt. In beiden Fällen entsteht das Werk direkt am werdenden Objekt, doch es bleibt flüchtig, ohne Konzept, die Qualität fraglich.

Nur bei Musikern, die ihr Handwerk und ihre Kunst verstehen, kann »sich der kompositorische Gedanke von allen technischen Einschränkungen befreit zum richtigen Zeitpunkt der passenden Kompositionstechnik bedienen«. Nur Webentwickler, die ihre Werkzeuge, Sprachen und Methoden beherrschen, sind in der Lage, Webseiten zu erzeugen, die den Inhalten, die sie vermitteln sollen, gerecht werden und dabei ansprechend, zugänglich und technisch hochwertig sind.

Ich bin Michael Paulus dankbar dafür, dass er diese Verbindung zwischen Komponieren und Webseiten erstellen erkannt und in Worte gefasst hat.

Klavier zu vier Händen

Es ist mir eine Ehre, dass Michael Paulus mir – wie er schreibt – »als Dank für die große indirekte Hilfe« bei seinen »Websitebemühungen« eine Komposition gewidmet hat: »Zwischentöne Op 26«. Wenn Sie möchten, können Sie sich das Stück anhören. Ich finde es ungewöhnlich und es begeistert mich.

Der Komponist erklärt auf der Seite zum Stück, was das Besondere daran ist:

Diese Komposition für Klavier zu vier Händen ist im Schwierigkeitsgrad als für Menschen unspielbar einzustufen. Sie wurde speziell für Computerflügel geschrieben. Die Entwicklung der zugrundeliegenden Textcodierung erfolgte nach strengen mathematischen Algorithmen. Zu einem atonalen und dennoch harmonischen Fundament tritt eine völlig irregulär scheinende Melodielinie hinzu, welche jedoch einer absoluten mathematischen Logik folgt. Ein perfekt wiedergegebenes Ergebnis bewegt nicht nur intellektuell, sondern auch emotional. Somit wird ein neuerlicher Beweis für Friedrich von Hardenbergs aufgestelltes Postulat erbracht, wonach Musik die höchste Form von Mathematik sei.

Das Stück wurde am 12. Dezember 2008 im Bösendorfer-Saal uraufgeführt und im Rahmen eines Wettbewerbs prämiert.

Michael Jendryschik
3 Kommentare
  1. Thomas Weise
    Thomas Weise sagte:

    Ist ja krass. Also mit Mathematik Musik erzeugen, hätte ich nicht gedacht.

    Manchmal beim Musikhören versuche ich unbewusst, mich in die Stimmung des Komponisten zu versetzen bzw. was er damit ausdrücken will. Mas mache ich dann in diesem Fall?

    Die Mathematik hat ein „Gesicht“ bekommen. 😉

    Antworten
  2. Gernot
    Gernot sagte:

    @achim:
    Musik selbst baut auf mathematische Regeln auf, in fast jedem Kulturkreis. Allein die Harmonielehre ist ein verschachteltes Konzept von ineinander in Beziehung stehenden Elementen. Natürlich ist Musik auch Gefühl, und Mathematik ist eine Art Beschreibung der Natur der Welt. Nichts abstraktes. Dein Gedanke: „Musik…sollte von Mathematik verschont bleiben“ ist ein Paradox, denn ohne die beschreibenden Regeln gäbe es keine Musik. Das wäre wie „Webseiten sollten von Quellcode verschont bleiben“.

    Antworten

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