HCD-Reifegrad steigern und Human-Centered Design in einer Organisation etablieren



Damit Entscheidungen bei der Entwicklung sich auf Daten und nicht bloß auf Meinungen stützen, ist es notwendig, den HCD-Reifegrad zu steigern.  Eine hohe HCD-Reife bedeutet, dass eine Organisation in der Lage ist, wiederholt Nutzungserlebnisse von hoher Qualität zu erzielen und somit seine Wettbewerbsposition zu stärken. Dieser Artikel stellt 10 Schritte vor, wie das gelingt.



Hinweis

Dieser Artikel ist eine gekürzte Version des Artikels „Human-centered Design in einer Organisation etablieren“, der in der iX Ausgabe 10/2023 erschienen ist. Der Original-Artikel stellt außerdem eine aktuelle HCD-Reifegradskala vor. Er ist online über heise+ verfügbar. Ich habe außerdem einen Vortrag auf der Konferenz »Digital Design & UX Next« zu diesem Thema gehalten. Die dazugehörige Präsentation finden Sie am Ende des Artikels.

Steigerung des HCD-Reifegrads

Die Verbesserung des HCD-Reifegrads ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der mittel- und langfristiger Strategien bedarf. Es geht darum, eine Kultur zu schaffen, in der Entscheidungen auf Daten und nicht auf Meinungen basieren, in der Benutzer im Mittelpunkt stehen und in der ständiges Lernen und Verbessern zum Standard wird. Das ist die Aufgabe eines UX-Managers.

Das Curriculum des CPUX-M, „Essentials in UX and HCD-Management“, beschreibt eine UX-Strategie, die aus mehreren Schritten besteht.

Interessenvertreter und die strategischen Unternehmensziele verstehen

Der erste Schritt zur Steigerung der HCD-Reife besteht darin, die Interessenvertreter und die strategischen Unternehmensziele zu verstehen. Dazu identifizieren UX-Manager relevante Personen in verschiedenen Funktionen wie Führungskräfte, Partner, Lieferanten oder Mitarbeiter aus dem Vertrieb und Kundensupport und befragen sie zu ihren Zielen, Pain Points, Erwartungen und Prioritäten.

Benutzer und Nutzungskontext verstehen

Gleichzeitig analysieren sie den Nutzungskontext der Produkte oder Services des Unternehmens, um Erfordernisse und aktuelle Pain Points zu identifizieren. Dies umfasst Benutzer, ihre Aufgaben und Ziele sowie die Umgebung, in der sie die Produkte oder Services verwenden. Dafür können UX-Manager auf eine breite Palette von User-Research-Methoden zurückgreifen und beispielsweise Benutzer interviewen, kontextuelle Beobachtungen oder Feldstudien durchführen.

Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen

In diesem Schritt geht es darum, allen Beteiligten klarzumachen, dass eine starke Benutzerorientierung nicht nur ein nettes Extra, sondern eine geschäftliche Notwendigkeit ist. Dafür müssen UX-Manager darlegen, dass die Produkte oder Services der Organisation mit Problemen (qualitativen Hindernisse für die Erwirtschaftung von Gewinn) behaftet sind. Am überzeugendsten ist es, die in den ersten beiden Schritten identifizierten Pain Points durch Usability-Tests mit repräsentativen Benutzern zu belegen und relevante Interessensvertreter einzuladen, die Usability-Testsitzungen zu beobachten. Nichts ist eindrucksvoller als Benutzer mit eigenen Augen an den eigenen Produkten scheitern zu sehen.

Quick Wins generieren

Nun gilt es, schnelle Erfolge zu generieren, um das Interesse an HCD aufrechtzuerhalten und die übrigen Zweifler zu überzeugen. Quick Wins sind kurzfristige, sichtbare Verbesserungen, die aus UX- und HCD-Initiativen resultieren, beispielsweise die Optimierung einer oft genutzten Funktion, die Reduzierung der Anzahl von Serviceanfragen durch eine klarere Benutzeroberfläche oder eine Steigerung der Konversion durch die Verbesserung des Anmeldeprozesses.

UX-Manager sollten die Verbesserungen eindeutig belegen können und daher vorab Metriken (KPIs, Key Performance Indicators) auf Grundlage der bisherigen Erkenntnisse definieren und deren Ausgangswerte ermitteln, etwa durch Usability-Tests oder quantitative Messungen. Nachdem die Verbesserungen durchgeführt wurden, werden die Metriken erneut gemessen – die Zahlen sollten nun klar besser sein und die Vorteile von UX und HCD beweisen.

Eine Vision für Veränderungen schaffen

Eine UX-Vision fungiert als „Leuchtturm“, der den künftigen Aktivitäten des Unternehmens in Bezug auf HCD und UX die Richtung weisen wird. Sie sollte inspirierend, leicht verständlich und kommunizierbar sein; außerdem herausfordernd genug, um eine echte Transformation zu bewirken, und gleichzeitig auch erreichbar, um Frustration und Enttäuschung zu vermeiden. Eine gut definierte Vision trägt dazu bei, dass alle Mitarbeiter, unabhängig von ihrer Position oder Abteilung, dasselbe Ziel verfolgen.

UX-Manager erstellen Prototypen, Storyboards und User Journey Maps und zeigen so, wie die UX in zwei, drei oder fünf Jahren aussehen und funktionieren könnte. Die Vision sollte bei jeder Gelegenheit auf breiter Ebene mit relevanten Interessensvertretern bis hoch in die Unternehmensführung diskutiert und stetig verbessert werden. Das Vorgehen kennt man von Bauprojekten: In der Planungsphase erstellen Architekten realistische und inspirierende Modelle ihrer Entwürfe, um Bauherren und Entscheider zu überzeugen (Abbildung 1).

Eine starke Koalition von Interessenvertretern und UX-Mitarbeitern bilden

Mit einer inspirierenden Version im Blickfeld versammeln UX-Manager Fürsprecher und Mitstreiter um sich herum und bilden daraus ein engagiertes „HCD-Komitee“, das sich der Umsetzung der UX-Vision verpflichtet. Dieses sollte eine Vielfalt von Rollen und Perspektiven im Unternehmen repräsentieren und durch weitere UX-Professionals verstärkt werden. Spätestens jetzt ist Zeit, ein UX-Budget zu beantragen, um HCD-Aktivitäten und -Schulungen durchführen und auf mehrere Schultern verteilen zu können. Es geht darum, kontinuierlich weiter zu optimieren und die in Schritt 4 definierten KPIs (und ggfs. weitere) im Blick zu behalten.

Die Vision kommunizieren

HCD-Aktivitäten sind in der Organisation angekommen, werden gemanagt, gemessen und zahlen auf eine UX-Vision ein. Diese muss nun auf vielfältige und kreative Weise kommuniziert und im Unternehmen verbreitet werden, etwa durch regelmäßige Meetings, Workshops, interne Newsletter, Schulungen und informelle Gespräche an der Kaffeemaschine. UX-Manager sollten darlegen, wie die Veränderung die Unternehmensziele unterstützt, welche Vorteile sie für das Unternehmen und die Mitarbeiter bringt – dabei helfen die KPIs. Abweichungen von der vereinbarten UX-Vision sollten sie konsequent nachgehen und zudem überzeugende Geschichten, Prototypen, Daten und Präsentationen bereitstellen und in der Organisation streuen.

Da sich auf dieser Stufe mittlerweile mehrere Personen um UX-Aktivitäten kümmern, wird es wichtig, Qualitätsstandards zu etablieren, beispielsweise Templates für UX-Arbeitsprodukte wie Usability-Testberichte, Vorgehensweisen zu vereinheitlichen und Design-Entscheidungen zu dokumentieren, einen Styleguide oder ein Design System aufzubauen.

Zum Handeln befähigen – Hindernisse beseitigen

Trotz aller Kommunikation und Motivation kann die Umsetzung der Vision ins Stocken geraten, wenn Mitarbeiter auf Hindernisse stoßen, die ihr Handeln behindern. Diese können organisatorischer, technischer oder kultureller Natur sein; sie können aus ineffizienten Prozessen, fehlender Unterstützung seitens der Führung, mangelnden Ressourcen, fehlenden Fähigkeiten oder Widerständen gegen Veränderungen resultieren. Die Aufgabe des UX-Managers bzw. des gesamten UX-Komitees ist es, diese Hindernisse zu erkennen und Strategien zu entwickeln, um sie zu überwinden:

  • Prozesse optimieren;
  • Schulungen anbieten;
  • die Zusammenarbeit fördern;
  • die benötigten Werkzeuge bereitstellen, z.B. Styleguides, Pattern Librarys, einfacher Zugang zu realen Benutzern oder Ticket-Systeme, die es einfach machen, UX-Probleme und Verbesserungen zu melden;
  • eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens schaffen;
  • Personen öffentlich anerkennen und belohnen, die den Wandel im Sinne der UX-Vision herbeiführen;
  • Kritiker und Blockierer identifizieren und überzeugen.

Kontinuierlich auf den Veränderungen aufbauen

Wenn ein Team oder eine Abteilung einen wichtigen Meilenstein auf dem Weg zur Erreichung der UX-Vision geschafft oder eine besondere Leistung erbracht hat, sollte dies anerkannt und gefeiert werden. Dies stärkt die Motivation und das Engagement der Mitarbeiter und fördert eine positive Unternehmenskultur.

Auch hier eine Analogie aus Bauprojekten: Meilensteine wie Spatenstich, Grundsteinlegung und Richtfest werden mit projektbeteiligten Bauherren, Planern, Arbeitern und Würdenträgern gefeiert. Man ist aber noch nicht am Ziel, siehe Abbildung 2, die schon eine gewisse Ähnlichkeit zu Abbildung 1 aufweist, aber noch weit davon entfernt ist! Ebenso sind UX-Manager gefordert, bei Erfolgen nicht nachzulassen, sondern kontinuierlich weitere Bereiche der Organisation konsequent auf HCD auszurichten und die HCD-Reife weiter zu steigern.

Veränderungen in der Unternehmenskultur verankern

Im finalen Schritt erfolgt die Transformation hin zu einer Kultur, in der Human-Centered Design und eine hohe UX-Reife selbstverständlich sind, indem die bislang angestoßenen Aktivitäten konsequent ausgebaut und fortgeführt werden. Das kann mitunter Jahre dauern.

Fazit

Die Einführung von Human-Centered Design in einer Organisation erfordert eine systematische Herangehensweise. Bei erfolgreichen menschenzentrierten Unternehmen ist das Streben nach einem kontinuierlich verbesserten Erlebnis ein durchgängiges Prinzip – von der Führungsebene bis zur praktischen Durchführung. HCD ist auf Geschäftsleitungsebene verankert. Darüber hinaus sind Nutzererfahrung und Zufriedenheit integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie und der Unternehmensziele. UX-Manager müssen nachweisen können, dass der Erfolg der Organisation auch eine Folge großartiger UX ist.

Die CPUX-M-Zertifizierung ist eine hervorragende Möglichkeit, sich tiefer mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Sie deckt ein breites Spektrum an Themen ab, von den Herausforderungen des HCD-Managements über das Erstellen und Umsetzen von UX-Visionen bis hin zum Risikomanagement und ethischen Design. Sie eignet sich sowohl für UX-Manager als auch für Produktverantwortliche und Manager, die den Wert von UX und HCD erkannt haben und diesen auf allen Ebenen in ihrem Projekt oder Unternehmen verstehen, anwenden und verankern möchten.

Präsentation auf der »Digital Design & UX Next«

Michael Jendryschik
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