Lean UX: Einführung und Grundlagen

Lean UX ist ein Ansatz, um Prinzipien und Methoden zur Verbesserung der Usability und User Experience in eine agile Entwicklung zu integrieren, und gleichzeitig der Titel eines Buches von Jeff Gothelf und Josh Seiden, in dem sie ihren Ansatz erklären: Lean UX – Produktentwicklung und -design mit agilen Teams (Amazon-Partnerlink). Lean UX vereint Ansätze aus der Agilen Entwicklung, dem Menschzentrierten Gestaltungsprozess und Design Thinking sowie Lean Startup zu einer neuen Methode. Diese Ansätze greifen sinnvoll ineinander und führen so zu einer schlanken (»lean«), nutzerzentrierten Entwicklung von Produkten. In dieser Artikelreihe fasse ich die wesentlichen Gedanken und Aussagen des Buchs in drei Teilen zusammen.

Dieser Artikel ist kein Erfahrungsbericht, sondern versucht, die Ausführungen von Gothelf und Seiden möglichst objektiv widerzugeben. Natürlich drückt sich eine gewisse Wertung, Gewichtung und Interpretation dadurch aus, dass ich bestimmte Teile hervorhebe und andere weglasse. Wer einen umfassenden und vollständigen Einblick in Lean UX haben möchte, sollte einfach das Buch lesen. Das ist mit rund 250 Seiten nicht umfangreich und auch in der Deutschen Übersetzung gut zu lesen (allerdings stellenweise etwas konfus).

Inhaltliche Diskussion und Austausch gerne in den Kommentaren, hier oder in den sozialen Netzwerken.

Grundpfeiler von Lean UX

Lean UX baut auf bewährten Konzepten verschiedener Disziplinen und Denkschulen auf, vor allem auf dem User Experience (UX) Design und Design Thinking, der Agilen Softwareentwicklung sowie der Lean-Startup-Methode.

User Experience Design und Design Thinking

Der Begriff „User Experience“ (deutsch: „Benutzererlebnis“) wurde erstmalig bereits 1993 von Don Norman während seiner Tätigkeit bei Apple eingeführt. Die internationalen Norm DIN EN ISO 9241-210, »Menschzentrierte Gestaltung interaktiver Systeme«, definiert User Experience als die „Wahrnehmungen und Reaktionen einer Person, die aus der tatsächlichen und/oder der erwarteten Benutzung eines Systems, eines Produkts oder einer Dienstleistung resultieren«. Wenn Gothelf und Seiden von »User Experience Design« sprechen, dann meinen sie Methoden und Denkweisen aus verschiedenen Bereichen des Designs, die menschliche Bedürfnisse berücksichtigen und die User Experience gestalten und (positiv) beeinflussen.

Design Thinking ist ein anderer Ansatz, menschzentriert Produkte und Services zu entwickeln, und etwa seit Mitte der 2000er Jahre etabliert. Design Thinking basiert auf der Annahme, dass Probleme besser gelöst werden können, wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten, gemeinsam eine Fragestellung entwickeln, die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen berücksichtigen und dann Konzepte entwickeln, die mehrfach geprüft werden (Wikipedia). Design Thinking ist für Lean UX bedeutend, da es dafür steht, dass jedem Aspekt einer geschäftlichen Unternehmung mit Designmethoden begegnet werden kann. User Experience (UX) und Design Thinking animieren Teams zu interdisziplinärer Zusammenarbeit und einer holistischen Betrachtung des Produktdesigns.

Agile Softwareentwicklung

Der zweite Grundpfeiler, auf dem Lean UX aufbaut, ist die agile Softwareentwicklung – verschiedene Methoden, um Entwicklungszyklen zu verkürzen und kontinuierliche Werte für den Kunden zu schaffen. Gothelf und Seiden zielen hier vor allem auf die Leitsätze des Agilen Manifests ab, das im Jahre 2001 von einer Gruppe von 17 renommierten Softwareentwicklern formuliert wurde, darunter Jeff Sutherland und Ken Schwaber, die Begründer von Scrum. Diese Grundsätze lauten:

„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir diese Werte zu schätzen gelernt:

  • Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge
  • Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung
  • Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“

Lean Startup

Der letzte und namensgebende Grundpfeiler ist die Lean-Startup-Methode, die Eric Ries in seinem 2011 erschienen Buch The Lean Startup (Amazon-Partnerlink) beschreibt. Dabei geht es darum, mit möglichst wenig Kapital und schlanken Prozessen ein erfolgreiches Unternehmen zu starten oder ein Produkt auf den Markt zu bringen. Anstelle einer jahrelangen Forschung, Konzeption und Entwicklung ist es das Ziel, so schnell wie möglich einen Prototypen auf den Markt zu bringen (»Minimum viable product«, MVP), sodass schnell auf direktes Kundenfeedback oder Wünsche reagiert werden kann. Lean UX repräsentiert die unmittelbare Anwendung dieser Philosophie in der Praxis des Produktdesigns.

Prinzipien

Lean UX besteht aus einem Satz von Kernprinzipien, die den Designprozess, die Zusammenarbeit und die Organisation des Lean-UX-Teams betreffen. Dabei handelt es sich nicht um ein starres Vorgehensmodell mit festen Regeln, sondern um grundlegende Konzepte, die Sie sich zu eigen machen sollten, wenn Sie »lean« arbeiten wollen.

Prinzipien zur Organisation des Lean-UX-Teams

  • Interdisziplinäre Teams, die aus Vertretern verschiedener Fachbereiche bestehen, die dauerhaft vom ersten bis zum letzten Tag am Projekt mitwirken. Das Team erledigt alle Projektaufgaben zu einem großen Teil gemeinsam.
  • Kompakte, zweckbestimmte, standortgebundene Teams, das bedeutet Teams, die aus maximal zehn Personen bestehen, sich voll auf ein einziges Projekt konzentrieren und – sofern möglich – an einem Standort zusammen sind (oder sich über entsprechende Infrastruktur und Tools remote zusammenschalten).
  • Eigenständige und autorisierte Teams, die ohne externe Abhängigkeiten arbeiten können und Zugriff auf alle benötigten Ressourcen und Werkzeuge und vor allem selbstständig auf Vertreter von Kunden und Nutzern zugehen können.
  • Problemfokussierte Teams, die nicht einfach nur Features bauen, sondern Lösungen und Werte schaffen für Nutzer und Kunden.

Prinzipien der Unternehmenskultur

  • Vom Zweifel zur Sicherheit: Lean UX geht davon aus, dass anfangs alles nur unsichere Annahmen sind, die im Projektverlauf (hoffentlich) zur Gewissheit werden.
  • Fortschritt wird durch Ergebnisse erzielt (erreichte Geschäftsziele), nicht mit Durchsatz (neue Features).
  • Verschwendung minimieren – ein wichtiger Grundsatz aus dem Lean Manufacturing (der »schlanken Fertigung«), der dazu anhält, effizient zu arbeiten und alles wegzulassen, was nicht unmittelbar zielführend ist.
  • Gemeinsames Verständnis über (fachliche) Inhalte des Projekts, Nutzer und ihre Aufgaben, das sich das Team im Projektverlauf dadurch aufbaut, dass es gemeinsam an Lösungen arbeitet.
  • Keine Rockstars, Gurus und Ninjas, sondern eine echte Team-Mentalität. Rockstars stören den Team-Zusammenhalt und vermindern die Team-Effizienz nachhaltig, haben in einem Lean-UX-Team daher nichts zu suchen.
  • Misserfolge erlauben und damit Raum für Innovation schaffen. Teams, die mit verschiedenen Lösungen experimentieren, werden zwangsläufig häufiger scheitern als Erfolg haben, aber deutlich bessere Lösungen produzieren.

Prinzipien der Vorgehensweise

  • Kleine Arbeitspakete angehen mit dem Ziel, Annahmen zu prüfen oder das Produkt auf Grundlage gesicherter Annahmen voranzubringen, um Risiken zu vermeiden.
  • Continuous Discovery: Kunden und Nutzer kontinuierlich einbeziehen durch quantitative oder qualitative Methoden, in die stets das gesamte Lean-UX-Team involviert ist. Es geht auch hier darum, Annahmen zu prüfen, aber auch darum, ein umfassendes Verständnis dafür zu entwickeln, warum und in welcher Weise Nutzer das Produkt verwenden.
  • GOOB (»Getting Out Of The Building«): Das Lean-UX-Team sollte sein Lösungen frühestmöglich und kontinuierlich testen und mit echten Nutzern evaluieren und diskutieren – und am besten nicht im Büro, sondern unter realistischen Bedingungen im Nutzungskontext.
  • Arbeit externalisieren auf Whiteboards, Pinnwänden, Postern, Klebezetteln, Skizzen visualisieren und regelmäßig präsentieren (Kolleginnen aus anderen Teams, Mitarbeitern, Kunden, Nutzern, …).
  • Machen statt analysieren: Es geht darum, schnell greifbare Ergebnisse und Prototypen zu erzeugen und dann: GOOB. Nur so erhält das Lean-UX-Team echtes Feedback.
  • Weg von den Deliverables bzw. von den schwergewichtigen Dokumentationen und Berichten, hin zu schlanken Prototypen und echten Ergebnissen, die die Probleme der Nutzer lösen.
Michael Jendryschik
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